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Interview (Musik)Blättern: Vorheriger Artikel | Nächster Artikel

CASINO BLACKOUT: "Die Schönheit des Unperfekten"

Das folgende Interview mit Flo von Casino Blackout hatte ich, Otti, vor fast genau einem Jahr als Grundlage für einen Artikel im Slam über ihr seinerzeit neues Album Hinterhof Poesie geführt. Wie so oft ergab sich auch hier wieder viel mehr Material, als im Heft Platz fand und daher war klar, dass das vollständige Interview über kurz oder lang hier auf Nightshade zu lesen sein würde. Jetzt habe ich endlich die Zeit und Ruhe gefunden, das Ganze entsprechend zu bearbeiten. Et voilà - viel Spaß beim Lesen!

Otti:
Für jemanden wie mich, der erstmals mit Euch und Eurer Musik in Berührung kommet: Wie würdet Ihr die Quintessenz von Casino Blackout beschreiben?

Flo:
Es ist ja immer die große Kunst, etwas auf das Wesentliche runterzubrechen. Mit wenigen Worte etwas so zu beschreiben, dass es verstanden wird. Ich tu mir da bei der eigenen Musik unglaublich schwer. Vielleicht, weil der Blick aus der Entfernung fehlt - weil man einfach zu nah dran ist und für einen selbst jedes Detail, jede Überlegung und jedes Gefühl, die in die Musik floßen, wichtig erscheinen. Ich versuch es trotzdem gerne für dich:

Casino Blackout ist Pop-Punk und vereint mit der Musik genau diese Gegensätzlichkeit des Genres. Es gibt ultra poppige Momente gefolgt von einem edgy Rundumschlag. Eine der wichtigsten Zutaten der Band sind Inhalt und Text, die durch Aussagekraft, Gefühl und einer Prise Straße zu einem Ganzen verschmelzen.

Casino Blackout: Hinterhof Poesie
"Eine Sache, die sich ganz bestimmt auf das Album ausgewirkt hat, war die Möglichkeit zum Experimentieren."
Otti:
Nun habt Ihr Euer drittes Album Hinterhof Poesie am Start und die Presseinfo deutet an, dass sich Euer Stil weiterentwickelt hat. Wie würdet Ihr das mit eigenen Worten beschreiben?

Flo:
Wir haben uns einfach freigeschwommen. Das war auf der einen Seite eine natürliche Entwicklung, auf der anderen Seite sahen wir natürlich auch, dass es für das Genre "deutschsprachiger Punkrock" - wo unser erstes Album eher einzuordnen ist - schon sehr viele Bands gibt, die das gut bedienen. Damals wollten wir das auch, das hatte sich zu der Zeit gut angefühlt. Zum Glück entwickelt man sich aber auch weiter, guckt über den Tellerrand und findet den Mut andere Sachen gut zu finden.

Auf Fragment hatten wir dann das erste Mal mit elektronischen Elementen experimentiert. Mit Gut genug oder Bestehen bleiben hat sich dort bereits eine Weiterentwicklung angekündigt. Ich bin sehr froh, dass wir uns auf unserem neuen Album Hinterhof Poesie dann komplett von dem eigenen Schubladen-Gedanken lösen konnten.

Otti:
Welche Menschen (wahlweise auch gerne Tiere) waren auf dem Entstehungsweg von Hinterhof Poesie Eure wichtigsten Wegbegleiter?

Flo:
Beim Schreibprozess war das ganz bestimmt meine Freundin und Tourmanagerin der Band. Liliana hatte ja wirklich meine ganzen Höhen und Tiefen bei der Entstehung abbekommen. Außerdem ist sie auch immer die erste Person, der ich neue Demos vorspiele. Da bekomme ich immer eine überaus ehrliche - nicht immer angenehme- Antwort.

Gefolgt von allen möglichen Menschen aus der Familie und dem Freundeskreis, die auch mal zur Ablenkung in so einer Entstehungsphase beitragen. Ich bin in so einem Schreibprozess oft sehr tief drin und tu mich oft schwer, mal etwas Luft zu holen, und Abstand zu nehmen. Das ist aber wichtig, um neue Perspektiven zu bekommen oder einfach die Motivations-Akkus wieder aufzuladen.

Otti:
Für Wir gegen uns habt Ihr Marathonmann-Sänger Michael als Gast eingespannt. Wie kam es zu dieser Kollaboration?

Flo:
Mit Marathonmann verbindet uns seit den beiden gemeinsamen Touren durch den Pandemie-Sommer eine tiefe Freundschaft. Wir hatten trotz der ermüdenden Corona-Situation zusammen Shows gespielt und ein kleines bisschen Normalität geschaffen. Das schweißt echt zusammen.

Als der Song Wir gegen uns fast fertig war, kam uns die Idee bei Marathonmann anzuklopfen, ob Michi gegebenenfalls ein Feature Part beitragen möchte. Michi war sofort dabei und setzte alle Hebel in Bewegung, um das möglich zu machen. Als wir das fertige Ergebnis hörten, war uns sofort klar: Das passt perfekt zusammen!

Geografisch sind wir ja auch nicht allzu weit voneinander entfernt, daher war das für den Videodreh keine sehr große Hürde. Das ist echt ein gutes Gefühl, wenn man etwas erschaffen hat, mit dem alle Beteiligten so glücklich sind. Die Single Wir gegen uns kam als Album-Vorbote auch unglaublich gut bei den Leuten an.

Otti:
Und wo wir gerade bei diesem Song sind - was ist der Hintergrund von Wir gegen uns, also aus welcher Inspiration heraus ist er enstanden?

Flo:
Die ursprüngliche Idee war es, einen Song zu schreiben, der eine Welt beschreibt, in der es längst zu spät ist, etwas zu retten. In der wir das Ruder nicht mehr herumreißen können - mit abschreckender Wirkung quasi. Während des Schreibens dachte ich mir so: "Fuck, alles was du hier beschreibst, ist ja bereits so", gefolgt von der Frage: "Leben wir bereits in dieser Dystopie?" Das zeigt auf jeden Fall, wie unglaublich wichtig es jetzt ist, uns den ganzen Problemen zu stellen. Es ist höchste Zeit für ein komplettes Umdenken.

Otti:
Es ist immer schwierig, im Rahmen eines solchen Interviews die eigenen Interpretationen eines Liedes anzubringen, aber Neonfarben hat es mir halt besonders angetan und berührt mich auf unterschiedlichen Ebenen. Daher ganz neutral gefragt: Wie ist diese Nummer mit Euren Worten zu verstehen?

Flo:
Schön, dass du dir Neonfarben ausgesucht hast. Ich finde auch, dass der Song durch das Zusammenspiel von Stimmung und Lyrics, eine ganz besondere Wirkung entfaltet. Wenn man wie du einen Zugang dazu hat, dann kann der einen echt berühren. Gerade bei dem Song, haben aber viele bestimmt auch eine eigene Interpretation des Songs.

Für mich wird in Neonfarben ein fiktiver Ort beschrieben. Ein Ort, der als Metapher eine dunkle Geisterstadt im eigenen Kopf darstellt. Man möchte diesen Ort gerne hinter sich lassen, kommt aber auch nicht los davon. Ich habe mir beim Songwriting sehr bildhaft die Stadt vorgestellt, wo wir die meiste Zeit unserer Jugend verbracht hatten. Das war spannend und hoffnungsvoll, gleichzeitig aber auch irgendwie erdrückend und eklig.

Zum Beispiel gleich die Eröffnungs-Line: "Ich hab die Herzen ausgekratzt, die ich an dich verloren hab". Hier beschreibe ich, wie ich wie besessen die Spuren entfernen möchte, die ich in der Stadt hinterlassen hatte, weil man sich endlich davon lösen möchte.

Darum entsteht in dem Song eine so große Bildwelt und darum funktioniert der Song ganz bestimmt auch für jemanden, dem es tatsächlich so mit einer Stadt/Ort/Dorf geht. Oder auch auf anderer Ebene: Dass die Geisterstadt einen Mensch darstellt, mit dem man in einem toxischen Verhältnis steht.

Otti:
Die jüngste Single Im Dreck beschäftigt sich mit dem Geltungsbedürfnis der Menschen, insbesondere in Social Media. Welche negativen Erfahrungen und/oder Beobachtungen habt Ihr in den sozialen Netzwerken gemacht?

Flo:
Naja, wir machen diese negativen Erfahrungen ja quasi täglich. Jedes Mal, wenn wir eine der Apps öffnen und dann wie bekloppt als Voyeur durch die Timeline scrollen und gucken, was die anderen so unfassbar Schönes treiben und man sich im Anschluss daran schlecht fühlt, weil man selbst nichts erlebt hat oder nicht so schön ist. Oder man findet sich eben auf der anderen Seite wieder und erstellt selbst diese Inhalte, die einen selbst im allerbesten Licht zeigen. Dazu kommen dann obendrauf noch ein paar verletzende Kommentare und wir sprechen von einem ganz normalen Tag in der Social Media Blase. Wenn man das so runterbricht, dann ist das echt ein einziger Irrsinn. Ich will das natürlich auch nicht alles verteufeln, aber manchmal, wenn ich mir das so ansehe und merke, was das mit einem macht, dann fällt es mir echt schwer, etwas Gutes darin zu sehen. Der Song verarbeitet das und hält uns allen dabei den sprichwörtlichen Spiegel vors Gesicht: "Alles andere als perfekt".

Otti:
Hinterhof Poesie ist - wie die meisten aktuellen Kunstwerke - im Schatten des Virus entstanden. Ohne das Thema jetzt zu sehr ausbreiten zu wollen - welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf das Album?

Flo:
Eine Sache, die sich ganz bestimmt auf das Album ausgewirkt hat, war die Möglichkeit zum Experimentieren. Wir mussten durch die Pandemie dreimal unseren Studiotermin verschieben. Irgendwann entschied ich mich dann aus der Notlage raus, einen alten Raum im Keller zu räumen und für die Aufnahmen umzubauen. Im Nachhinein die beste Entscheidung, weil ich endlich die Zeit hatte, quasi unbegrenzt auszuprobieren. Ich konnte mit Sounds und Vocals experimentieren und Gitarreneffekte basteln, die ich während einer teuren Studiozeit nie hätte umsetzen können. Abgesehen von der Schlagzeug-Aufnahmen nahmen wir das komplette Album dort auf.

Inhaltlich hat die Pandemie keinen direkten Einfluss auf das Album genommen. Aber klar, man war natürlich durch die Isolation gezwungen, sich auch mal mit sich selbst auseinanderzusetzen. Das macht bestimmt auch was mit einem. Kreativer bin ich aber trotzdem, wenn ich draußen sein kann, dort wo sich auch das Leben abspielt.

Otti:
Welche positiven Erfahrungen/Erkenntnisse habt ihr aus jener Zeit mitgenommen?

Flo:
Die Pandemie hatte manchmal schon echt gezehrt. Da waren einige Hürden zu bewältigen, die einen aber auf der anderen Seite wieder zusammenschweißen. Wenn man trotz aller Probleme weitermacht und gemeinsam Wege findet, Schwierigkeiten zu überwinden - ist das auf jeden Fall etwas Positives.

Ganz allgemein gefragt: Was unterscheidet "Hinterhof Poesie" von der klassischen Dichtkunst?

"Hinterhof Poesie" ist eigentlich nicht als eine spezielle Form der Dichtkunst zu verstehen, sondern steht vielmehr als Metapher für die Schönheit des Unperfekten. Ich mochte diese Gegensätzlichkeit und mir gefiel, wie der Albumname als große Überschrift das Album beschreibt. Das Cover-Artwork ist für mich die perfekte Überleitung dazu und verbildlicht diese Vorstellung.

Otti:
Bei den Recherchen zu Euch bin ich auf Eurer Website auch auf das Video zum Song Hier unten mit Vom Ritchie gestoßen. Wie kam es denn seinerzeit dazu, und welchen Kontakt habt Ihr zu ihm und den Hosen?

Flo:
Wir hatten damals ja bereits unser erstes Album über Voms damalige Plattenfirma Drumming Monkey Records veröffentlicht. Als wir für die Albumaufnahmen zu Fragment, unserem zweiten Album, wieder in Düsseldorf waren, kamen am letzten Aufnahme-Tag die beiden Labelchefs Roman und Vom noch vorbei. Wir hatten an dem Abend mit einigen Gläsern Wein auf das Wiedersehen angestoßen. Und dann stand auf einmal diese Idee im Raum: Lass uns eine Feature-Akustik-Version von Hier unten machen. Gesagt, getan. Das ist eine wirklich tolle Nummer geworden und Vom ist ein wirklich begnadet guter Drummer. Das ist jedes Mal pure Freude, wenn man ihn spielen sieht. Außerdem sind wir immer mal wieder in Kontakt, wenn es um gemeinsame Shows oder um Artworks für seine andere Band Cryssis geht. Zuletzt hatte ich das Plattencover für die neue Cryssis-Single entworfen. Zu den Hosen haben wir persönlich keinen direkten Kontakt.

Otti:
Was sagt Ihr zu Leuten, die über Die Toten Hosen schimpfen, das sei ja gar kein Punk? Und hattet Ihr auch schonmal mit der Punk-Szenepolizei zu tun?

Flo:
Wenn jemand das an musikalischen Punkten festmachen möchte, ja gut, kann ich noch irgendwie nachvollziehen. Wobei man da natürlich auch kritisch nachfragen müsste, was denn dann definitionsgemäß genau Punk ist und was nicht? Was die Attitüde und die Geschichte der Band angeht, müssen die Hosen sich wohl von niemandem was vorwerfen lassen. Ich kann über solche Leute, die darüber urteilen möchten, nur schmunzeln. Auf jeden Fall sind wir dahingehend vor ein paar Jahren auch schon angeeckt. Da kam dann schon mal so ein Spruch wie: "Das könnte ja im Radio laufen" usw. Für uns war das mehr ein Kompliment als eine Beleidigung. Inzwischen gibts da aber kein Angriffspotential mehr.

Otti:
Und da ich diese Fragen zufällig am Welt-Frauentag erarbeitet habe: Was möchtet Ihr den Ladies dieser Welt unbedingt sagen?

Flo:
Wenn man in die Musikindustrie und in viele andere Bereiche schaut, ist das ungleiche Verhältnis nicht zu übersehen. Männer dominieren immer noch in den meisten Bereichen. Gerade in der Musikwelt, wo man eine gewisse Toleranz und Weltoffenheit vermuten würde, ist das leider immer noch ein sehr großes Thema. Es ist zwar ein Wandel zu spüren, aber es ist eben auch noch ein weiter Weg zu gehen.

Frauen: Lasst euch nicht von dieser Macho-Fassade einschüchtern. Geht auf Bühnen, seid laut und zeigt was ihr könnt.

Art des Interviews: Email
03/18/23 by Otti
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