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Interview (Musik)Blättern: Vorheriger Artikel | Nächster Artikel

SCHILLER: "Das Leben bewusst mit voller Kraft leben."

Er ist mit Sicherheit einer der spannendsten Electro-Musiker Deutschlands und hat nicht umsonst mit zahlreichen, großartigen Künstlern wie Unheilig, Peter Heppner und Thomas D. Hits rausgehauen: Die Rede ist von Christopher von Deylen, besser bekannt unter seinem Projektnamen Schiller. Zahllose Nummer 1-Platzierungen in den Charts säumen seinen Weg, die neueste davon ist das aktuelle Werk Summer In Berlin, ein Doppelalbum, das sowohl neue Musik, als auch einen Livemitschnitt, beinhaltet. Zur Entstehung von Summer In Berlin, seiner Sicht auf die deutsche Hauptstadt und seiner musikalischen Philosophie hat Christopher uns nun in einem ausführlichen Interview spannende Einblicke gewährt:

Otti:
Mit Summer In Berlin hast Du ein neues Doppelalbum am Start, das im Titel und gleichnamigen Track ein Stück von Alphaville aufgreift. Was verbindet Dich mit der Band allgemein und mit Marian Gold als Menschen?

Christopher:
Oh, ich bin natürlich Alphaville Fan. Das Debutalbum Forever Young war der Soundtrack meiner Teenager–Zeit. Wenn ich mich einmal nicht in den ausufernden Sequenzen von Tangerine Dream verloren habe, habe ich meine Ohren mit dem hymnischen Synth–Pop von Alphaville verwöhnt. Beides Bands übrigens, deren klangliche Signatur in Berlin entstand. Ich liebe nun einmal elektronische Musik. Diese beiden Musik–Kollektive definieren das musikalische Terrain, in dem ich mich nach wie vor heimisch fühle. Ich hatte im Zuge unserer Kollaboration sehr viel mit Alphaville–Mitgründer Bernhard Lloyd zu tun. Marian Gold und ich haben uns immer wieder verpasst. Sobald es die aktuelle Situation zulässt, werden wir uns sicherlich im richtigen Leben treffen. Ist eigentlich überfällig.

Schiller / Christopher von Deylen
"Die Erde hat sich weitergedreht. Im Moment ist sie nicht wiederzuerkennen." (pic by Annemone Taake)

Otti:
Die erste Disc des Doppelabums besteht - soweit ich das beurteilen kann - aus neuem Material, das aber durchweg einen Bezug zum Titelthema zu haben scheint. Was war da die Ursprungsidee? Und wie hast Du das konzeptionell umgesetzt?

Christopher:
Es freut mich sehr, dass das wie ein Konzept wirkt. Aber wie so oft im Leben haben sich die Dinge vollkommen anders entwickelt, als geplant. Ursprünglich sollte das Ganze eine Anthologie verschiedener Konzerte und Live–Performances werden. Die verbindenden Raum- und Zeitachsen waren "Sommer" und "Berlin". Da lag es nahe, daraus einen Albumnamen zu machen: Summer in Berlin. Das wirkte erst einmal logisch und plausibel. Da ich seinerzeit meine Tage und Nächte überwiegend im Studio verbracht habe, entstand parallel auch neue Musik, wenn auch noch relativ ungeordnet. Irgendwann haben sich diese beiden Welten verzahnt und haben sich gegenseitig inspiriert. So kam es dann zu einem Themenalbum über Berlin, auf dem jeder einzelne Track einen großen oder kleinen Bezug zu Summer in Berlin hatte. Inklusive des Reworks von Alphaville´s gleichnamigem Song.

Otti:
Teil 2 von Summer in Berlin ist passenderweise ein Mitschnitte eines Konzertes in der Hauptstadt. Welche Erinnerungen und Emotionen verbindest Du mit speziell dieser Show?

Christopher:
Das ist eine gute Frage. Seitdem sind ja gerade einmal 24 Monate vergangen. Eigentlich kein langer Zeitraum. Dennoch fühlt es sich an, als lägen Welten dazwischen. Auf eine gewisse Art ist es ja auch so. Die Erde hat sich weitergedreht. Im Moment ist sie nicht wiederzuerkennen. Daher wirken die Aufnahmen von zigtausend Zuschauern in ausgelassener Stimmung aus heutiger Sicht wie aus einer anderen Zeit, wie von einem anderen Planeten. Da kann man schon ein wenig nachdenklich werden. Da aber zuviel Nachdenken erfahrungsgemäß nicht sonderlich hilfreich ist, versuche ich, mich auf die Musik zu konzentrieren. Das funktioniert überwiegend auch ganz gut. Der Kern des Konzerts ist ja nach wie vor Musik. Ich bin sehr dankbar, diesen Moment erlebt zu haben und möchte mich bei allen Mitwirkenden und bei einem großartigen Publikum bedanken.

Otti:
Insgesamt wirkt Summer In Berlin unheimlich dicht und zugleich stimmig und komplex. Wenn Du so ein Werk erarbeitest, wieviel Planung und Konstruktion fließt dabei ein, und welchen Raum hat organisches Wachstum bei diesem Projekt gehabt?

Christopher:
Zuerst einmal freut es mich, dass Du Summer in Berlin mit diesen Worten beschreibst. Da habe ich wohl Glück gehabt. Es gibt ja keine Garantie, dass ein Album so homogen gelingt. Zu Deiner Frage: Die Grenzen sind sehr fließend. Manchmal scheint eine konkrete Planung hilfreich zu sein. Sie erzeugt die Illusion von der Sinnhaftigkeit. Man kann die Elemente eines Songs effizient sortieren, und auf den ersten Blick sogar erklären. Das Ergebnis kann dadurch aber auch sehr statisch und vorhersehbar werden. Daher wende ich mich viel lieber dem zu, was Du als organisches Wachstum beschrieben hast. Am Ende ist Musik ja Gefühlssache. Und Gefühle kann man nicht planen. Oder besser gesagt, man sollte sie nicht planen. Man weiß zwar nie, welchen Lauf der Tag nimmt. Aber diese Unberechenbarkeit kann ja auch sehr erfrischend sein.

Otti:
Was mich gerade fasziniert, ist dass Du Dein Musikprojekt nach Friedrich Schiller benannt hast. Du verzichtest nicht selten gänzlich auf Lyrik in deinen Tracks, oder setzt diese sehr dosiert als Samples ein. Wo siehst Du dennoch die Verbindung zwischen Deiner Kunst und der des großen Dichters?

Christopher:
Hätte ich 1998 gewusst, dass mich dieser Name so lange begleiten würde, hätte ich ihn mir aus lauter Respekt vermutlich gar nicht erst ausgeliehen. Natürlich habe ich immer wieder in Werken von Friedrich Schiller gestöbert, aber irgendwie ist mir die Verbindung via Metaebene lieber. Mit Friedrich Schiller verbinde ich überwiegend das Wort Freiheit. Und so versuche ich, ihm durch eine intensive Interpretation dieses Begriffs meine Ehre zu erweisen.

Otti:
In jedem Fall deute ich daraus eine tiefe Liebe zur Literatur. Welche Lyriker und Autoren haben Dich neben Friedrich besonders geprägt? Und was liest Du aktuell besonders gerne?

Christopher:
Das sollte man meinen. Allerdings lese ich viel zu wenig und viel zu selten. Ich nehme es mir immer wieder vor, aber dann lande ich doch wieder im Studio. Vielleicht nehme ich mir für die nächste Tour einen Stapel Bücher mit. Im Nightliner hat man ja viel Zeit (lacht).

Otti:
Wenn denn aber in Deiner Musik Texte und Gesang vorkommen, wie zum Beispiel bei Miracle mit Tricia McTeague - welche Bedeutung haben diese für Dich? Und konkret an diesem Beispiel orientiert, wie entstehen Lyrics und Vocals bei einem Schiller-Track?

Christopher:
Dieter Bohlen hat einmal sinngemäß gesagt: "Der Text ist doch egal. Worte sind nur dazu da, die Melodie zusammenzuhalten." Das klingt erst einmal sehr kernig, und man möchte sofort widersprechen. Aber es liegt auch eine gewisse Wahrheit darin. Am Schönsten ist es natürlich, wenn Melodie und Text eine untrennbare Symbiose eingehen und sich dabei gegenseitig unterstützen. Manchmal gelingt das auch. Der Klang von Sprache, die Kraft von Worten kann einer Melodie zu ungeahnter Stärke verhelfen. Ich freue mich jedesmal, wenn dies gelingt.

Otti:
Manches Schiller-Stück mit Gesang ist natürlich ein klassischer Remix, so zum Beispiel das wunderschöne Better Now von und mit Janet Devlin. Wie kam es zu dieser Interpretation deinerseits? Wonach wählst Du allgemein Deine Remixe, aber auch sonstige Kooperationen, aus?

Christopher:
Derlei Kooperationen entstehen meistens wie von selbst. Es gibt da keine Schablone, keine Blaupause. Mit Janet Devlin wollte ich schon auf meinem 2016er Album Future zusammenarbeiten. Dazu ist es zwar aus terminlichen Gründen nicht gekommen, aber wir haben stets den Kontakt zueinander gehalten. Ihr Song Better Now hat mich wahnsinnig berührt, so dass ich sie sofort gefragt habe, ob ich einen Remix davon machen dürfte. Zum Glück durfte ich. Das Ganze geschah, während ich parallel an Summer in Berlin gearbeitet habe. So hat Better Now den Weg auf das Album gefunden. Ich bin sehr glücklich, dass auch hier der Zufall zu etwas Schönem geführt hat.

Otti:
Kommen wir nun mal zum Thema Berlin - dort werden natürlich immer die Greueltaten des Dritten Reiches nachhallen. Wie wirken sich, in Deinen Augen, diese Schatten auf das Leben in der modernen Metropole aus?

Christopher:
Es kommt wohl darauf an, mit welchem Blick man sich der Stadt nährt. Berlin ist nicht der einzige Ort, in dem die Geschichte ihre Spuren hinterlassen hat. In gewissen Teilen der Stadt sah es ja noch bis 1989 eher durchwachsen aus. So gesehen ist Berlins Historie sehr kontrastreich. Ob und wie dieses Geschehen die moderne Metropole beeinflusst, vermag ich nicht zu sagen. Das obliegt jedem Bewohner, Besucher und Betrachter der Stadt auf seine individuelle Weise. Manchmal wirkt es aber schon so, als würde man bestimmte Geschichtsmomente ungeschehen machen wollen. Rein architektonisch gehörte ich beispielsweise zu den Bewunderern des Palasts der Republik. Als jemand, der im Westen aufgewachsen ist, konnte ich mir die Trennung von Ästhetik und politischer Aufladung natürlich leisten. Die verspiegelten Glasscheiben von "Erichs Lampenladen" vis-à-vis vom Berliner Dom waren nach meinem Geschmack eine städtebauliche Meisterleistung. Dieses auf seine Art geschichtsträchtige Gebäude dann abzureißen, um an dessen Stelle die Betonattrape eines Schlosses mit kaiserlicher Konnotation zu pflanzen, kann man machen, muss man aber nicht. Das sind die Momente, in denen man denkt, Berlin möchte seiner Geschichte davonlaufen. In diesem Falle ist man aber leider im Kreis marschiert. Wenn man wenigstens einem kühnen architektonischen Zukunftsentwurf eine Chance gegeben hätte... aber lassen wir das. Ich schweife ab (lacht).

Otti:
Generell ist Berlin eine sehr geschichtsträchtige Stadt, man denke nur an JFK, den Mauerfall oder auch die Auseinandersetzungen zwischen linker Hausbesetzerszene und Polizei, insbesondere in den 70er und 80er Jahren. Wieviel davon spürt man bis heute in der Stadt?

Christopher:
Es gibt ja keine B-Probe. Wir werden daher nie erfahren, wie sich die Stadt ohne derlei Phasen entwickelt hätte. Kreuzberg wäre aber sicherlich nicht Kreuzberg, wenn es dort in den 80er Jahren ein überwiegend wohlsituiertes Bürgertum gegeben hätte. Aus einer ungeordneten Schroffheit kann eben auch Neues entstehen. Das muss einem nicht immer gefallen. Einen beachtlichen Teil der westdeutschen Kunst-  und Musikszene hätte es ohne das Kreuzberg der 80er Jahre sicherlich nicht gegeben. Da wird die Mai-Randale dann schon fast zur Folklore. Selbstvergewisserung deluxe. Im Übrigen ist jede Stadt ja immer die Summe ihrer Teile. Und heute ist Kreuzberg das, was es vermutlich niemals werden wollte oder sollte: Der Vorzeige-Kiez eines wohlsituierten Bürgertums. Tolerant und weltoffen. Und wenn Du zu laut Musik hörst, rufen sie die Polizei. Nun schweife ich schon wieder ab (lacht).

Otti:
Viele große Künstler hat es temporär, oder dauerhaft, nach Berlin gezogen, um dort zu leben, ihre Alben aufzunehmen, zu arbeiten - und es ist auch mit Sicherheit eine der meistbesungenen Städte der Welt. Du hast mit Sicherheit schon viele Metropolen der Welt kennengelernt, und bezeichnest Dich, wenn man Wikipedia glauben darf, als "selbstgewählt heimatlos". Was macht für Dich dennoch den besonderen Reiz dieser Stadt aus, der Du ja immerhin mit Summer In Berlin nun ein ganzes Doppelalbum gewidmet hast?

Christopher:
Es sind vermutlich die Gegensätze. Du hast ja gemerkt, wie leidenschaftlich ich auf die beiden letzten Fragen reagiert habe. Berlin ist einfach schwer zu greifen. Als ob man einen Pudding an die Wand nageln möchte. Das finde ich faszinierend, es kann aber auch sehr enervierend sein. Auf jeden Fall wird es nie langweilig. Und wenn einem Kreuzberg zu beschaulich geworden ist, kann man ja mit der Bahn ein paar Stationen weiterfahren.

Schiller Live in Berlin 2018
"Es gibt keinen unangenehmen Ort, solange man der Welt mit der entsprechenden Einstellung begegnet." (pic by Thomas Rabsch)

Otti:
Die aktuelle Pandemiesituation hat Dich dann sicherlich in deiner Liebe zum Reisen besonders getroffen. Wie gehst Du damit um?

Christopher:
Das ist ganz einfach: Alles zu seiner Zeit. Im Moment ist das Thema Reisen nicht vorgesehen. Es fällt mir daher sehr leicht, damit entsprechend umzugehen. Außerdem verfüge ich über einen ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb und hätte vermutlich nicht viel Freude am Unterwegssein. Wenn das dann eines hoffentlich nahen Tages wieder möglich sein wird, ohne einem Himmelfahrtskommando zu gleichen, wird man es umso mehr zu schätzen wissen.

Otti:
Bei all Deinen Bewegungen rund um die Welt, was war der bis dato unangenehmste Ort, den Du kennengelernt hast? Was war daran so schlimm?

Christopher:
Es gibt keinen unangenehmen Ort, solange man der Welt mit der entsprechenden Einstellung begegnet. Und falls es so einen Ort doch geben sollte, dann habe ich ihn bisher noch nicht entdeckt. Nicht, dass ich gezielt danach suchen würde (lacht). Bisher konnte ich jedem Ort etwas Positives abgewinnen. Dazu brauche ich keinen blauen Himmel, Palmen und Meeresrauschen. Auf einer meiner Reisen habe ich in Pakistan eine Nacht im Gefängnis verbracht. Freiwillig. Es war weit und breit der sicherste Ort und zumindest von außen gut bewacht. Es wäre jetzt sicherlich zu weit gegriffen, das als angenehmen Ort zu beschreiben. In dem speziellen Moment und in meiner Situation was aber genau das Richtige.

Otti:
Insgesamt hat Deine Musik nicht selten einen meditativen, fast spirituellen Charakter. Gibt es in Deinen Kompositionen ein konkretes, metaphysisches Element? Oder, um es mit den Worten eines Freundes des alten Schillers zu sagen: "Wie hast du´s mit der Religion?”

Christopher:
Bisher bin ich sehr gut ohne ausgekommen.

Otti:
Gehen wir mal davon aus, dass die Menschheit die Pandemie in absehbarer Zeit in den Griff bekommt - Was sind Deine Wünsche, Ziele und Hoffnungen für den "Neubeginn" danach?

Christopher:
Das Leben bewusst mit voller Kraft leben. Jeder Sekunde, die vergeht, kommt nie zurück.

Website:
www.schillermusic.com

Art des Interviews: Email
05/03/21 by Otti
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